Sagenhaftes
Höchstberg
Der Juffer-Weiher
In längst vergangenen Zeiten lebte auf dem
Schlosse zu Ulmen ein gar strenger und stolzer Burgherr. Er hatte eine
Tochter, die ganz das Gegenteil ihres Vaters war. Leutselig gegen
jedermann, war sie auch von allen geliebt. Stolz kannte sie nicht. Sie
war gekannt als kühne Reiterin; kein Ross war ihr zu wild, kein Graben
zu breit, um nicht den Sprung darüber zu wagen, und wer sie so auf dem
schnaubenden Rosse dahinfliegen sah, das aufgelöste dunkle Haar im
Winde flatternd, mochte sie wohl, wenn er sie nicht näher kannte, für
eine Fee gehalten haben.
Ihre wunderbare Schönheit lockte manchen Freier zum Schlosse, doch
insgesamt mussten sie unverrichteter Dinge wieder weiter ziehen; sie
wies alle die schönen und stolzen Ritter schnöde ab. Nicht aber tat
sie dies, weil sich etwa ihr Herz dem Gefühle der Liebe verschlossen
hätte, ganz andere Gründe bewogen sie hierzu.
Hugo, ein Diener ihres Vaters, der sie in der Reitkunst unterrichtet
hatte, hatte es verstanden, sich in das unschuldsvolle Herz des schönen
Burgfräuleins einzuschleichen. Mit ihm ritt sie öfters hinaus, und
fern am entlegenen Waldessaum stiegen sie vom Pferde, banden diese an
einen Baum, und auf grünem Rasen, ungestört und ungesehen von aller
Welt, verbrachten sie süße Stunden im Liebesspiel. Was wohl die Folgen
hiervon sein könnten und wie sich beider Zukunft gestalten mochte,
daran dachten sie nicht. In süßer Liebeslust verträumten sie ihr
Leben; so ging es Monate lang, ohne dass jemand eine Ahnung gehabt
hätte.
Doch es ist nichts so fein gesponnen, es kommt einst an die Sonnen.
So kam es auch hier. An einem schönen Herbsttage ritten der Diener und
das Burgfräulein wieder aus. Am Saume des schönen Buchenwaldes
angelangt, stiegen sie wieder von ihren Rossen. Auf einem Rasenplatze
setzten sie sich nieder und überließen sich ganz ihren Gefühlen.
Da nahte das rächende Geschick. Ein Ritter aus der Nachbarschaft, den
die schöne Jungfrau nicht erhört hatte, kam daher geritten. Kaum hatte
er die seltsame Gruppe erblickt, als er auch anhielt, um möglichst
ungesehen beobachten zu können. Er traute seinen Augen kaum, als er
Hugo, den Diener, erkannte, an dessen Brust die Schlossdame ihr Haupt
lehnte. Und als er sah, wie jener aus der von schwarzen Locken
umkränzten Stirn das widerspenstige Haar ihr strich und die
Widerstandslose küsste, da drang ihm mit solcher Macht das Blut zum
Herzen, dass er nicht länger mehr vermochte seiner Eifersucht zu
gebieten. Er drückte seinem Rosse die Sporen ein, ritt an den beiden
dicht vorbei, indem er ihnen einen Blick voll bitteren Hasses zuwarf und
sprengte an wilder Eile nach Schloss Ulmen, gleich als ob er nicht früh
genug dem gestrengen Vater die Nachricht von dem schändlichen Gebaren
seiner Tochter hinterbringen könne.
Bei der Kunde von dem Vorgefallenen geriet jener in furchtbare Wut.
Keine Strafe schien ihm hart genug, um die Sünderin den Fehltritt
büßen zu lassen, die den Namen und die Ehre seines Hauses so
schmählich befleckte.
Er ersann eine fürchterliche Strafe. Auf jener Stelle, wo die Liebenden
sich zum süßen Liebesspiel vereinigt hatten, ließ er einen Turm
bauen, den er rings herum von einem breiten Wassergraben umgeben ließ.
In diesem Türm verbannte er seine sündige Tochter. Karge Nahrung ließ
er ihr reichen, und so siechte die Unglückliche hin, gebeugt und
gebrochen durch Leiden des Körpers und der Seele.
Die Trümmer jenes entsetzlichen Gefängnisses stehen noch heute da
(1888), die umgebene Fläche, welche trocken liegt, wird noch bis auf
den heutigen Tag aus Anlass jener Begebenheit genannt - der "Juffer-Weiher".
Wenn aber in stürmischer Nacht die Winde durch die Riesenbäume heulen,
dann sieht man einen dunklen Schatten daherfliegen und hört wohl auch
eine menschliche Stimme klagend rufen: "Hugo, Hugo". Es soll
dies das Burgfräulein sein, welches nach seinem Geliebten sich sehnt.
(Stolz, 43 ff)
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